Kurzer Abschied zum langen Weg im ZSB Bern
Monique und Jürg Liechti-Darbellay
Liebe ZSBler
Wir danken der Zentrumsleitung für die Möglichkeit, per Newsletter ein paar Zeilen zu unserem Abschied vom ZSB zu sagen. Schon früher wurde ich (Jürg) von der GL-ZSB gebeten, als Initiator, erster Geschäftsleiter und Gründungspräsident der „Stiftung ZSB Bern“ die ZSB-Geschichte aufzuschreiben. Dafür ist hier weder Zeit noch Platz. Nichtsdestotrotz möchten wir etwas zu den „allerersten Anfängen“ sagen; denn mit uns drei fing es an, 1981, also vor über vierzig Jahren: Martin Zbinden, Monique Liechti-Darbellay, Jürg Liechti. Es fing an mit einer aus Übersee eingeschleppten Infektion, dem „Systemfieber“. Hinter uns lag das Medizinstudium und die ersten Jahre als junge Ärztin und Ärzte in den 1970ern, vor uns der lange Weg zu einer eigenen psychotherapeutischen Identität.
Man muss sich den Kontext vor Augen führen: Die 1970er, das war „One Flew Over the Cuckoo's Nest“. Wir erlebten die Waldau noch mit strikt getrennten Frauen- und Männerabteilungen, alte Schule pur. Und dennoch: Es waren auch die 1970er, das Jahrzehnt der Psychiatriereformen (Psychiatrie-Enquête, 1975), das „neuen Schub in die Buden“ brachte. Luc Ciompi (Sozialpsychiatrie) und Edgar Heim (Psychiatrische Poliklinik) förderten in Bern als Chefärzte die aufblühende Psychotherapie. The rise oft the big „Schulenstreit“. Neben der vorherrschenden psychoanalytischen, der behavioral-verhaltenstherapeutischen und weiteren Schulen machte neuerdings eine aus den USA der Nachkriegszeit nach Europa schwappende „Familientherapiebewegung“ mit aufsehenerregenden Erfolgen von sich reden. Deren Grundkonzeption bildete „das (Beziehungs-) System im Hier und Jetzt“. Die Essenz lag in der Ansicht, dass psychische Probleme Ausdruck von Beziehungsproblemen sind und umgekehrt. Die gerade auf dem Radar erschienene „Systemtherapie“ sah in der psychischen Krankheit eine (Kommunikations-)Störung im Kontext der Familie. Um die Störung zu beheben, mussten die Interaktions- und Kommunikationsmuster im relevanten „System“ verändert werden. Psychotherapie wurde zur Hier- und Jetzt-Intervention in komplexen Familienkontexten. Für jüngere Fachleute ist heute kaum noch nachvollziehbar, welch tiefgreifende, teils schockierende Auswirkungen das damals auf uns junge ÄrztInnen hatte. Der Fokuswechsel vom Individuum auf sein Ökosystem wurde als Paradigmenwechsel in der Psychiatrie gefeiert (vgl. The Structure of Scientific Revolutions, Th. Kuhn) und eröffnete einen therapeutischen Optimismus sondergleichen.
Der prominenteste „System“-Vertreter in der Deutschschweiz war ohne Zweifel Gottlieb Guntern, der nach USA-Aufenthalten ab den späten 1970ern am Kreisspital Brig das Psychiatriezentrum Oberwallis im Sinne einer Systemlogik aufbaute (PZO Brig). Martin Zbinden war einer der ersten aus Bern, der den Paradigmenwechsel vollzog und als Oberarzt ans PZO ging. Monique stand damals im „Fremdjahr“ Neurologie, Jürg nach fünf Jahren Grundlagenforschung (Systemprozesse in der Immunologie) vor beruflichen Veränderungen. Dann kam Martin und steckte uns mit dem Familientherapievirus an. Infolgedessen zogen auch wir nach Brig. Es folgten unglaublich spannende Jahre am PZO, das als „Modell Brig“ in konsequenter Umsetzung eine „integrierte Psychiatrie“ repräsentierte und über die Landesgrenzen hinaus bekannt war. Folgende Gesichtspunkte wurden in die Praxis übersetzt:
- Psychiatrische Patienten werden nicht mehr ausgegrenzt und in grosse Kliniken in der Peripherie verbannt, sondern im Allgemeinspital an zentraler Lage integriert. Gleichbehandlung
- Der (Familien-) Kontext der psychisch kranken Menschen wird konsequent in Diagnose und Therapie einbezogen (Systemtherapie).
- Unabhängig vom stationären, ambulanten oder tagesklinischen Setting wird die Kontinuität der Therapiebeziehungen gewährleistet (die Therapiebeziehung wird nicht durch das Setting diktiert, wie das heute leider weitherum der Fall ist, sondern von Notwendigkeiten im Therapieprozess aus bindungstheoretischer Sicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit).
Erste Hälfte der 1980er, das war die Zeit der strukturellen und strategischen Modelle der Familientherapie. Die Fachperson übernimmt darin eine aktive Rolle im Therapieprozess, sie will „verändern“, sie interveniert, unterstützt, konfrontiert, provoziert, verschreibt und lenkt. Bald regte sich Kritik an dieser aktiven Lenkungsrolle der Therapeutin, so dass sich in der zweiten Hälfte der 1980er eine Akzentverschiebung zu einem vermehrt reflexiven Stil etablierte. Dabei übernimmt die Fachperson nunmehr eine vermittelnde Rolle, hilft unterschiedliche Sichtweisen zu überbrücken und „systemeigene“ familiäre Ressourcen zu mobilisieren. (z. B. konstruktivistisches, narratives Modell). Indes, alle aus der ursprünglichen „Familientherapiebewegung“ hervorgegangenen Modelle vereinten ein fundamentales Systemprinzip mit unterschiedlicher soziologischer, linguistischer, psychologischer etc. Akzentsetzung.
Im Herbst 1985 verliessen wir das PZO Brig in Richtung Bern und eröffneten zentral an der Gutenbergstrasse 5 zu dritt eine Praxisgemeinschaft. Die gemeinsame Zeit im Oberwallis, die am PZO gemachten klinischen, epistemologischen und last but not least kollegialen Erfahrungen sowie die aufrichtige Begeisterung für die „systemische“ Psychotherapie, die wir teilten und mit nach Bern nahmen, bedeuten rückblickend das motivationale Fundament für das zukünftige Praxis- und Weiterbildungsinstitut ZSB.
Jetzt wollen wir aber nicht durch die Hintertür doch noch eine Chronik erstellen, ev. folgt sie einmal als PDF auf der Homepage, hier seien nur die folgenden ca. 15 Jahre skizziert:
- Ab 1987 boten Martin Zbinden und Jürg im Ausland Vorträge und Fortbildungskurse in Familien- und Systemtherapie an (Berlin, Stuttgart, München, Darmstadt, Kassel, Viersen, Wien, Salzburg, Klagenfurt).
- Ab 1989 organisierten Martin und Jürg erste Kurse in Bern.
- In der Folge etappenweise räumliche Erweiterungen wegen raschen Anschwellens des Kursund Praxisvolumens (Kapellenstrasse, Schwarztorstrasse, Gutenbergstrasse, Villettemattstrasse).
- Ab erste Hälfte 1990er Jahre Erweiterung des DozentInnenkreises sowie Gründung eines „Konzept-Teams“ mit der Aufgabe, Fortbildungsformate zu konzeptualisieren.
- Ab Mitte 1990er leiteten Monique und Jürg die Geschäfte, da Martin Zbinden andere Prioritäten setzte (er blieb dem ZSB glücklicherweise bis heute als Dozent und Supervisor treu).
- Zur Jahrtausendwende tritt Martin Rufer (anstelle von Monique) in die Geschäftsleitung ein und setzt sich in den folgenden zehn Jahren u. a. tatkräftig für das ZSB-Curriculum und dessen Anerkennung seitens der Psychologie-Verbände ein.
- Die im 1990er-Jahrzehnt kräftig wachsende Institution mit ad hoc Namen wie „Institut für Systemtherapie und Beratung“ basierte rechtlich seit Anfang auf der Praxis von Monique und Jürg. Um die damit verbundenen ökonomischen und versicherungstechnischen Verantwortungen und Risiken juristisch breiter abzustützen, stifteten Monique und Jürg 2002 das Kapital für die Gründung der Stiftung ZSB Bern (mit dabei als StifterInnen: Tony Eggel, Anna Elmiger Aatz, Martin Rufer, Peter Ryser, Markus Vögelin, Katharina von Steiger, Martin Zbinden; erster Stiftungsrat: Anna Elmiger Aatz, Martin Rufer, Jürg Liechti, Präsident).
Spätestens ab den Nuller-Jahren müssten weitere Namen von Fachleuten erwähnt werden, die sich als PraktikerInnen, DozentInnen, SupervisorInnen, SekretärInnen oder im Hausdienst in teils absolut zentralen, teils eher peripheren Funktionen für das ZSB verdient gemacht haben. Doch eine Aufzählung würde das Format sprengen und wir überlassen es einer ausführlichen Chronik.
Eine erstaunliche Entwicklung nahm die Praxisgemeinschaft. Ursprünglich als „Stage“ für Absolventinnen und Absolventen des ZSB-Curriculums gedacht, stellten wir fest, dass die besten Berufsleute die hierzu gemieteten Praxen nicht nur vorübergehend besetzten, sondern im ZSB „hängen“ blieben – und es heute ausmachen. Diese Treue ist vermutlich dem Umstand zu verdanken, dass das ZSB-Konzept Selbstorganisation erwartet und „Autonomie in Verbundenheit“ anstrebt.
Überhaupt: Seit den Anfängen haben so viele Kolleginnen und Kollegen mitgemacht, sich für das ZSB eingesetzt, Verantwortung übernommen, Loyalitäten bewiesen und ihre Expertise zur Verfügung gestellt, dass wir nur staunen. Für uns beide bedeutete das ZSB Bern einen unglaublichen Glücksfall, in erster Linie beruflich, aber weit darüber hinaus auch menschlich. Nicht nur dass uns die Institution erlaubte, während 37 Jahren in einem vielfältigen Kontext den spannendsten Beruf der Welt auszuüben, ihn zu diversifizieren, darüber hinaus räumte uns das ZSB beflügelnde Praxisautonomie ein und vergönnte uns bleibende Freundschaften.
Für uns ist es jetzt Zeit geworden zu gehen. All die lieben Worte, die wir im Zusammenhang mit unserem Abtreten mündlich und schriftlich erhalten haben, berühren uns sehr, und halfen uns auch, mit Freude, Dankbarkeit, Stolz und Zuversicht die ZSB-Schlüssel abzugeben.
Und anzunehmen, dass es vorbei ist, dass jetzt etwas anderes kommt.
Viel Glück allerseits!
Monique und Jürg